Aufruf Heimatland Erde
Für planetares Denken und Fühlen, Planen und Handeln
Mit diesem Aufruf will das ASPR Wissenschaftler*innen und Aktivist*innen, die an verschiedenen Problemlagen der gegenwärtigen Polykrise arbeiten, zusammenführen, um ihre Kräfte zu bündeln, sowie das Bewusstsein der Öffentlichkeit dafür stärken, dass wir als Menschheit zwar vor unerhörten Herausforderungen stehen, aber auch, dass es möglich ist, durch umsichtiges und entschlossenes Handeln drohende Katastrophen abzuwenden und eine neue Qualität des menschlichen Lebens zu erreichen. Die Kampagne will einen Beitrag zur Stärkung eines planetaren Bewusstseins leisten und weiß sich solidarisch mit unzähligen anderen Initiativen auf der ganzen Welt, die für ähnliche Ziele eintreten und sucht sich mit ihnen zu verbünden.
EIN AUFRUF DES ASPR FÜR PLANETARES DENKEN UND FÜHLEN, PLANEN UND HANDELn
In diesem 21. Jahrhundert stehen wir vor bislang ungekannten Gefahren, die die Existenz der Menschheit selbst infrage zu stellen drohen. Die weltweite Pandemie Covid-19, die die „erste ökonomische Krise des Anthropozäns“ (Adam Tooze) ausgelöst hat, ist ein weiteres Element einer Polykrise. Der drastische und menschengemachte Klimawandel, das von unserer Wirtschafts- und Lebensweise ausgelöste Artensterben, die Gefahr der Selbstauslöschung durch einen atomaren Schlag und nationalistisch motivierte Kriege machen den Ernst der Situation klar. Längst schon haben sich jedoch weltweit auch Gegenkräfte geformt, in Wissenschaft, Kultur, Politik und Zivilgesellschaft, die mit ihren Mitteln nicht nur die Gefahren aufzeigen, sondern Auswege suchen und Alternativen erproben. Eine Herausforderung, an deren Größe auch die Akteur*innen wachsen können.
Im Geist dieser Arbeit an Alternativen organisiert das „Österreichische Studienzentrum für Frieden und Konfliktlösung“ (ASPR) die Kampagne „Heimatland Erde / Terre Patrie“. Der Titel ist inspiriert vom gleichnamigen Buch des großen französischen Denkers Edgar Morin, der im Jahr 2021 seinen 100. Geburtstag feiern wird, und dem wir viele dieser Einsichten verdanken. Vor allem geht es dabei um
- Die Akzeptanz der Komplexität der Wirklichkeit, die durch ein komplexes Denken erfasst werden muss;
- Die Bereitschaft, dialogisch und kritisch zugleich sich mit anderen auseinanderzusetzen;
- Das Beharren auf einem neuen Humanismus, der sich bemüht, sich seiner anthropozentrischen Vorurteile zu entledigen.
Gemeinsam für eine „Große Transformation“
Die Kampagne soll Wissenschaftler*innen und Aktivist*innen, die an verschiedenen Problemlagen der gegenwärtigen Polykrise arbeiten, zusammenführen, um ihre Kräfte zu bündeln, sowie das Bewusstsein der Öffentlichkeit dafür stärken, dass wir als Menschheit zwar vor unerhörten Herausforderungen stehen, aber auch, dass es möglich ist, durch umsichtiges und entschlossenes Handeln drohende Katastrophen abzuwenden und eine neue Qualität des menschlichen Lebens zu erreichen. Die Kampagne will einen Beitrag zur Stärkung eines planetaren Bewusstseins leisten und weiß sich solidarisch mit unzähligen anderen Initiativen auf der ganzen Welt, die für ähnliche Ziele eintreten und sucht sich mit ihnen zu verbünden.
„Heimatland Erde / Terre Patrie“ bedeutet:
- Ob wir es wollen oder nicht, die Menschheit in ihrer Gefährdung bildet heute insgesamt eine „irdische Schicksalsgemeinschaft“.
- Wir müssen unsere heutige Lebens- und Produktionsweise ersetzen durch ein System, das das gesamte Ökosystem des Planeten nicht mehr bekämpft, sondern sich sinnvoll in es einfügt. Wir müssen die Biosphäre in einem funktionsfähigen Zustand erhalten, um unser eigenes Leben zu sichern.
- Wir brauchen dafür eine wie immer geartete neuartige politische Organisation der Weltgesellschaft, die auf Demokratie, sozialer Gerechtigkeit und Frieden beruht.
- All dies kann nur in einer agonistischen und gewaltfreien Auseinandersetzung mit jenen Kräften gelingen, die den Status quo um jeden Preis aufrechterhalten wollen.
Pathetisch gesprochen: Was ansteht, ist nichts weniger als ein neuer Entwicklungssprung der Menschheit:
„Es ist nicht mehr an der Zeit, die ökologischen Katastrophen bloß zu konstatieren. Auch nicht sich der Vorstellung hinzugeben, dass die Entwicklung von Technologien allein Abhilfe schaffen könnte, geschweige denn, dass sie die großen Fehlentwicklungen beheben könnte, die den Planeten und die Biosphäre ernstlich zu zerstören drohen. Der rettende Entwicklungssprung kann nur durch eine gewaltige Umwälzung in unseren Beziehungen zum Menschen, zu den anderen Lebewesen und zur Natur erfolgen. Es braucht ein ökologisches Solidaritätsbewusstsein, das die Kultur der Konkurrenz und der Aggression ablöst, die derzeit die globalen Beziehungen beherrscht“ (MORIN 1989).
Dazu ist der intellektuelle Dreischritt – Erkenntnis, Vision, Handeln – Voraussetzung.
Die Erkenntnis der Krise
Wir müssen den Mut haben, die Krise des „Systems Erde“ in ihrem vollen Umfang zu erfassen, die Größe der Gefahren zu akzeptieren, und uns die Aktualität der Probleme einzugestehen.
Wir brauchen die intellektuelle Fähigkeit und die psychologische Stärke, uns auf die Komplexität der Situation einzulassen und mit ihr umzugehen. Wir müssen jedes enge lokalpatriotische, nationalistische, rassistische, sexistische Denken überwinden und zu einem planetaren Denken finden, da nur dieses unserer heutigen Welt angemessen ist.
Wir müssen die emotionale Bindung, die wir für unsere Region oder unser Land empfinden, auf den Planeten Erde als unsere Heimat ausdehnen – Terre Patrie.
Die Kraft der Vision
Um in der Erkenntnis unserer Lage nicht zu resignieren, können wir auf die menschliche Phantasie, Gestaltungskraft und Leistungsfähigkeit setzen. Aus der Akzeptanz der Tatsache, dass uns kein höheres Wesen rettet, genauso wenig wie ein Glauben an die Lokomotive des Fortschritts oder irgendeine heilbringende Ideologie, können die Bereitschaft und der Mut entstehen, das Abenteuer unseres Lebens als Menschen endlich selbst in die Hand zu nehmen. Die Dynamik unserer heutigen Zeit lehrt uns, dass die Menschwerdung des Menschen noch nicht abgeschlossen sein muss. Wir benutzen bislang nur einen geringen Teil unseres geistigen Potentials, wir haben das Wissen und die Strategien, um unser Verhältnis zur Natur neu zu gestalten, wir verfügen über alle notwendigen Kenntnisse, die gesellschaftlichen Beziehung friedlich und freundlich zu gestalten und Konflikte gewaltfrei zu transformieren. Wir haben die technischen Mittel, statt unsere Lebensgrundlagen zu zerstören, ein nachhaltiges, prosperierendes, sinnerfülltes Leben für alle Menschen auf unserem Planeten zu schaffen und die großen Herausforderungen, vor denen wir stehen, als „im Konflikt geeinte“ Menschheit zu meistern.
Die Wege des Handelns
Hunderte Millionen Menschen sehnen sich weltweit nach einem anderen Leben als einer Existenz, die auf Ausbeutung von Natur und Mitmenschen, härtestem Konkurrenzkampf und sinnloser Anhäufung von Reichtum auf der einen Seite und skandalöser Armut und bitterem Elend auf der anderen Seite beruht. Viele Millionen suchen in ihrem eigenen Bereich und mit den Mitteln, die ihnen zur Verfügung stehen, nach Alternativen und setzen sie, soweit sie dazu in der Lage sind, um. Hundertausende formulieren Ideen für eine „Große Transformation“ zur Überwindung dieses „ehernen Zeitalters“ der Menschheitsgeschichte und kämpfen so darum, dass das Menschengeschlecht nicht vorzeitig untergeht, sondern einen Entwicklungssprung schafft, der möglich, aber keineswegs selbstverständlich ist, und den man die „Zivilisierung der Zivilisation“ nennen könnte.
Es gilt, den existentiellen Kämpfen für die Zukunft unseres „Heimatlands Erde“, die heute ausgetragen werden, unter Wahrung ihrer Pluralität und Diversität eine gemeinsame Richtung zu geben, um ihnen Stärke und Durchsetzungskraft zu verleihen. Es gilt, neue soziale Erfindungen zu machen, um von der lokalen bis zur globalen Ebene demokratische Steuerungsmechanismen zu schaffen, die die Bedrohung durch Klimawandel, durch Artensterben und Zerstörung der notwendigen Vielfalt des Lebens wie auch die Gefahr der Selbstauslöschung durch Atomwaffen, durch Hunger und Krieg hintanhalten. Es gilt, durch die Überwindung des Kapitalismus, durch eine neue Kultur des Friedens und entsprechende politische Strukturen ein sinnerfülltes, nachhaltiges, in seiner Existenz gesichertes Leben ermöglichen.
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